Scholastik

Scholastik
   (griech. = Schulmäßigkeit) bezeichnet die hauptsächliche, in sich sehr differenzierte wissenschaftliche (nicht nur theol.) Methode des Mittelalters u. darüber hinaus eine Denkform, die sich auch vor u. nach dem Mittelalter finden läßt. Voraussetzungen für sie waren in der Zeit der Vorscholastik (um 800–1050) die von Kloster- u. Domschulen ausgehenden Bemühungen um Bildung u. Kultur u. damit verbunden ein sorgfältiger Umgang mit Traditionen. In der Frühscholastik (1050–1200) kamen die bis heute existierenden Universitäten auf. Grundlage des Theologiestudiums waren Texte aus der Bibel u. von anerkannten Theologen (vor allem Augustinus † 430), die mit begrifflicher Anstrengung je nach der Eigenständigkeit des Dozenten kommentiert wurden. Das Gedankengut war zunächst platonisch-augustinisch. Entstehende Fragen wurden in streng angewendeter Logik disputiert. (Exakte Begrifflichkeit u. argumentationsstarke Diskussionen sind in heutiger Zeit in gleicher Qualität nicht mehr vorhanden.) So entstehen die Methoden der kommentierenden Vorlesung (”lectio “), der Vorlage von Fragen (”quaestio“), geordnet in den Sammlungen der ”Summen“, u. der Diskussion (”disputatio“). Die in ihr vorgetragenen Antworten haben sich auf ”Autoritäten“ (göttliche u. menschliche) u. auf die Vernunft (Ratio) zu stützen, wobei z.T. bis heute diskutierte Probleme bewußt werden (Verhältnis von Glauben u. Denken, ”Gottesbeweise“). Zu den vielen Leistungen dieser Zeit gehört die Klärung des Sakramentsbegriffs. Bedeutende Theologen u. a.: Anselm von Canterbury († 1109), Peter Abaelard († 1142). Gegen Ende der Frühscholastik wurde mit Hilfe arabischer Gelehrter Aristoteles († 322 v.Chr.) wiederentdeckt, dessen Wissenschaftsauffassung, Metaphysik, Logik, Ethik überaus großen Einfluß auf das theol. u. philosophische Denken gewannen. Die Hochscholastik (1200–1350) erreichte an Wissensumfang u. Problembewußtsein ein bis dahin nicht gekanntes Niveau. Die Mitwirkung der im 13. Jh. entstandenen Dominikaner u. Franziskaner führte zur Bildung höchst unterschiedlicher theol. Schulen, wobei die Franziskaner (Bonaventura †1274) programmatisch den Augustinismus ausbildeten. Inspirierend wirkte die geistige Auseinandersetzung mit dem Islam. Über Aristoteles u. seinen Lehrer Albertus Magnus († 1280) hinaus entwickelte der Dominikaner Thomas von Aquin († 1274) ein eigenständiges, verschiedene Traditionen einschließlich der Negativen Theologie zusammenfassendes Denken (Gotteslehre, Natur u. Gnade, Leib u. Seele, Materie u. Form; Tugendlehre in der Ethik usw.). Eine individuelle Prägung ohne augustinische Einseitigkeit wiesen Philosophie u. Theologie bei dem Franziskaner Johannes Duns Scotus († 1308, Skotismus) auf. Um universales Wissen u. missionarisches Wirken im Islam war der Laientheologe Raimundus Lullus († um 1315) bemüht. Platonisch inspiriert, um die Einheit von Denken u. Spiritualität u. um eine verantwortliche theol. Sprache besorgt war Meister Eckhart († 1328). Die Zeit der Spätscholastik (1350–1500) sieht auf der einen Seite die Skepsis gegenüber der Metaphysik, verbunden mit einem gewissen Positivismus u. mit Interesse an Sprachanalysen im Nominalismus, anderseits einen so originellen Denker des Paradoxen u. der Negativen Theologie wie Nikolaus von Kues († 1464). Die neu entstehenden Naturwissenschaften u. die großen Bewegungen von Renaissance u. Humanismus eröffneten neue Horizonte des Denkens; die letzteren leiteten durch ihre teilweise Aufmerksamkeit für die biblischen Quellen zur Reformation über. Fortan wurde eine wesentlich veränderte Gestalt von Sch. in der Barockscholastik u. in der Neuscholastik prägend für die kath. Theologie. Erstere war unter naturwissenschaftlichem Einfluß stark an deduktiven Beweisgängen interessiert u. sah bedeutende Beiträge zur Gesellschaftstheorie, z. B. bei F. Suárez († 1619). Letztere widmete sich (mit Ansätzen im 18. Jh., Blütezeit im 19. Jh., Niedergang im 20. Jh.) der Abwehr gegen ”moderne“ Geistesströmungen. Bei ihren großen Vorzügen durch exakte Begrifflichkeit war sie, von der kirchlichen Leitungsautorität immer wieder nachdrücklich empfohlen bzw. vorgeschrieben, weder theologisch noch philosophisch produktiv, verfügte über keinerlei Diskussionskompetenz u. entwickelte kein theol. Problembewußtsein. Der Rückzug in das wissenschaftliche Getto erbrachte hervorragende historische u. editorische Leistungen, die zu einer gerechten Würdigung der Sch. im ganzen über die Grenzen einer Konfession hinaus beitrugen.

Neues Theologisches Wörterbuch. . 2012.

Игры ⚽ Поможем решить контрольную работу

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Scholastik — Scholastik, abgeleitet vom lateinischen Adjektiv scholasticus („schulisch“, „zum Studium gehörig“), ist die wissenschaftliche Denkweise und Methode der Beweisführung, die in der lateinischsprachigen Gelehrtenwelt des Mittelalters entwickelt wurde …   Deutsch Wikipedia

  • Scholastik — Scholastik, ist im allgemeinen die Gesammtbezeichnung der Philosophie des Mittelalters, welche ihren Ursprung daher hat, daß ihre Vertreter Lehrer an den vorzüglich seit der Zeit Karls des Großen gestifteten Kloster u. bischöflichen Schulen waren …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Scholastik — Scholastik, s. Scholastiker …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Scholastik — Scholastik, lat. scholastica (scientia d.h. schulmäßige Gelehrsamkeit), die Wissenschaft u. Gelehrsamkeit des Mittelalters, im engern Sinne die Theologie u. Philosophie desselben. Das Eigenthümliche der S. ist ihr christlich gläubiger Charakter,… …   Herders Conversations-Lexikon

  • Scholastik — Scho|lạs|tik 〈f. 20; unz.〉 1. die auf die antike Philosophie gestützte, christl. Dogmen verarbeitende Philosophie u. Wissenschaft des MA 2. engstirnige Schulweisheit [zu lat. scholasticus „zur Schule gehörig“] * * * Scho|lạs|tik, die; [mlat.… …   Universal-Lexikon

  • Scholastik — Scho|lạs|tik 〈f.; Gen.: ; Pl.: unz.〉 1. die auf die antike Philosophie gestützte, christl. Dogmen verarbeitende Philosophie u. Wissenschaft des MA 2. 〈fig.〉 engstirnige Schulweisheit [Etym.: <lat. scholasticus »zur Schule gehörig«] …   Lexikalische Deutsches Wörterbuch

  • Scholastik — die v.a. auf ⇡ Aristoteles aufbauende christliche Philosophie des Mittelalters (fortgeführt als Neuscholastik), die sich unter dem Aspekt der „göttlichen Weltordnung“ auch mit den Grundfragen des Wirtschaftslebens befasst, so v.a. mit dem… …   Lexikon der Economics

  • Scholastik — Scho|las|tik die; <aus mlat. scholastica »Schulwissenschaft, Schulbetrieb« zu lat. scholasticus »zur Schule gehörend«, dies aus gr. scholastikós »müßig, gelehrt; seine Muße den Wissenschaften zueignend«, dies zu schole̅, vgl. ↑Schola>: 1.… …   Das große Fremdwörterbuch

  • Scholastik — Scho|lạs|tik, die; (mittelalterliche Philosophie; engstirnige Schulweisheit) …   Die deutsche Rechtschreibung

  • Frühscholastik — Scholastik, abgeleitet vom lateinischen Adjektiv scholasticus („schulisch“, „zum Studium gehörig“), ist die wissenschaftliche Denkweise und Methode der Beweisführung, die in der lateinischsprachigen Gelehrtenwelt des Mittelalters entwickelt wurde …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”